Aufa100 lustrum anthology

19-09-2025

The commission is about to mark its first lustrum (March 19th, 2025) with a groundbreaking publication. This bilingual anthology will be published with an academically renowned house. 


Preface (concept)

Triggered by the appearance of a historic parallel at the end of the past century, I founded Forum2019 in Amsterdam. This parallel was to be drawn between military events or developments in defiance of a weakened Russia's legitimate security interests and the controversial history of Weimar, Paris and Versailles 1919. My thesis on Britain's colonization of the Paris conference during the 1918 Armistice's second prolongation was accepted at an unusual one-to-one session with the Netherlands' leading history professor. In anticipation of the First World War anniversaries (2014–2019), the name of this self-supported peace research and security policy initiative spoke volumes. I argued that forgotten chapters and commensurate lessons needed to be added to world-war-era curricula.

When the surprise of an all-American party on June 28, 1919, in Paris and Versailles revealed that the Europeans collectively failed to follow-up on the inclusive Armistice commemoration in the French capital, November 2018, I was flabbergasted. On this concluding day of the five-year anniversaries, Versailles was supposed the place to be. This experience of Europe's ignorance and historical amnesia culminated in the foundation of Aufa100. The old world's historians should prepare for a Felix Mendelssohn moment and this composer's rediscovery of Johann Bach's Matthew Passion after more than a hundred years.

On the occasion of this Transnational Commission for Reappraisal and Commemorative Culture's fifth anniversary (2025), we produced this bilingual anthology that is made up of two different parts. In their original form on our website, each of the elaborated 25 blogposts and essays marked a centenary event or development from the first post-war period (1921–1925). The 2021‒2025 kaleidoscopic series is preceded and completed by a couple of leading articles. In the English-language follow-up on the 2020 founding manifesto, the applicability of the appropriate thesis on the second thirty-years' war (1919–1945) is investigated. Given the ongoing controversy over the end of the First World War, we aspired to live up to all aspects of historical critique, last but not least the linguistic one, in alignment with Goethe's principle, 'Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiß nichts von seiner eigenen.' In the concluding German-language article, the director's Forum2019 backstory shines through after almost thirty years of engagement in the Weimar/Russia debate.

Several Aufa100 members rely on a postgraduate degree in security policy. Time and again, the reader is invited to bridge the gap between history and politics. Without this interdisciplinary approach, it seems hardly conceivable to apprehend any contemporary occurrences in the realm of war and peace, East and West.

First lustrum. Hi five
First lustrum. Hi five


Vice Versa Versailles

Der Titel dieses zweisprachigen Sammelbandes weist auf weitgehende Divergenzen zwischen den Vorkommnissen am Ende des Ersten Weltkrieges und der hundertjährigen Historiographie zur Urkatastrophe (George Kennan) hin. Im akademischen Raum haben die Ereignisse und Entwicklungen im Winter des siebenmonatigen Waffenstillstandes von 1918–1919 bisher kaum untersuchte Beachtung gefunden. In der Geschichtsschreibung herrscht eine lautstarke Amnesie zum kurzerhand geänderten Rahmen der Pariser Friedenskonferenz von 1919 vor. Es wird offensichtlich übersehen, dass die Folge der vereinbarten Tagesordnung unter Druck einer britischen Doppeldelegation durcheinandergebracht wurde. Die Teilnehmerzahl der britischen Entente-Führer verdoppelte durch die überraschende Einführung der British Imperial Delegation (Britische Reichsdelegation), die unter der Führung von David Lloyd George's südafrikanischem Schützling Jan Christiaan Smuts überproportionalen Einfluss nahm. Während Proteste Woodrow Wilsons, der US-amerikanischen Galionsfigur der Konferenz, sowie der französischen Gastgeber alsbald verhallten, wurde – neben dem vereinbarten Punkt zur Gründung einer internationalen Organisation – der fünfte Punkt des Waffenstillstandsprogramms priorisiert. Im Gegensatz zur unilateral vorgezogenen Kolonialfrage wären Themen wie der Status von Schlesien oder die Entente-Verfügungen über Deutschlands U-Boote nicht die gewesen, mit welchen die Emporkömmlinge aus britischen Kolonien tatsächlich den Sinn ihrer lautstarken Präsenz zum Ausdruck hätten bringen können. In der Folge verschob sich die Behandlung von Europas hauseigenen Themen auf ganze zwei Monate, d.h. auf die Vorwoche zum Frühlingsanfang. Aus der zweiten Delegation unter dem Union Jack ging der Impuls hervor, letztendlich nicht nur zum designierten Schaden Deutschlands, sondern auch zum nachhaltigen Schaden von Wilsons Novum, dem League of Nations, beide Punkte der britisch-subimperialistisch geprägten Tagesordnung mit einander zu verknüpfen. Danach begaben sich Wilson und Lloyd George in eine einmonatige Pause ihrer Führung in Frankreichs Hauptstadt nach Hause. Der Titel des 27-teiligen Bandes sowie des einleitenden Leitartikels ist ein idiomatischer Versuch, diese folgenschwere Umkehrung wieder in den Mittelpunkt zu rücken.

Mit dieser illustrierten Veröffentlichung wird das erste Lustrum der Aufa100 feierlich markiert. Am historischen Datum des 19. März 2020 gründete der niederländische Historiker Peter de Bourgraaf in Berlin und Amsterdam die „transnationale Kommission für Aufarbeitung und Erinnerungskultur ab 1914“. Durch die Orientierung an hundertsten Jahrestagen wirft das interdisziplinäre Forscherteam Licht auf eine besondere Amnesie der Geschichtsschreibung sowie, bis auf eine Aufnahme, der unterschiedlichen Erinnerungskulturen. Die Brisanz zeigt sich auch darin, dass die klaffende Lücke offenkundig weitreichende Auswirkungen auf die heutige Zeit haben mag. Einzig im Bereich der Erinnerungskultur bildeten die Vereinigten Staaten 2019 eine wöchentlich gestaltete und überseeisch veranstaltete Ausnahme. Im November 2018 gedachten die Staats- und Regierungschefs aus Ost und West in Paris des Zentenariums des Waffenstillstandes von 1918. Sieben Monate später fehlten zum feierlichen Gedenken des offiziellen Kriegsendes durch die US-amerikanischen Gäste in Versailles nicht nur die Gastgebernation, sondern auch alle anderen Nationen Europas. Mehr als hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mangelt es aus unserer Sicht an einer transnational aufgebauten Erinnerungskultur, welche in vielerlei Hinsicht als sinnvolle Ergänzung jeweiliger Kulturen des Nationalstaates betrachtet werden kann.

In einzelnen Beiträgen zum Band rückt die Deutung aktueller Ereignisse in den Vordergrund. Seitdem der ukrainische Bürgerkrieg von 2014 acht Jahre später seitens Russlands in einen Stellvertreterkrieg gegen das „Brudervolk“ bzw. das jahrzehntelang antirussische Westbündnis (NATO) eskalierte, vermehrten sich die Vergleiche zum Ersten Weltkrieg bzw. zur ersten Nachkriegszeit stark.1 Ein wirksamer Nebeneffekt ist, dass langsam von der fast übermächtigen Fokussierung auf die Geschichte des Zweiten Weltkrieges abgerückt wird.

Die Struktur des Bandes, dessen Verzicht auf bestimmte Normen wegen der fortwährend angelsächsischen Prägung der Historiographie („Neutralitätsgeschichtsschreibung“!) als unumgänglich vorausgesetzt wird, setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Der erste besteht aus Leitartikeln des Aufa100-Initiators. Der zweite Abschnitt ist der Centenaire–Chronologie von 2021 bis 2025 gewidmet. Mit dem Projektbeginn veröffentlichte die Aufa100 auf der Webseite Blogposts und Essays zu hundertsten Jahrestagen der neuen Ordnung. Darüber hinaus gelang ihr 2022 das Debüt in sowohl den Medien als auch der akademischen Presse.2 Zum ersten Lustrum der Aufarbeitungsinitiative wurden die Jahrhundertblogposts von insgesamt vier Autoren von der Webseite heruntergenommen und von unterschiedlichen Muttersprachlern Korrektur gelesen bzw. neu bearbeitet. Diese besonderen Prozesse öffneten uns einmal mehr die Augen. Es ist geplant, das vorgesehene Ende der Mission im Jahr 2033 mit einer ergänzenden Anthologie zu krönen.

Im einleitenden Artikel de Bourgraafs wird nebst der Bestandsaufnahme von Erinnerungskulturen zum fünften und finalen Jahr des ersten Zentenariums des Weltkriegszeitalters (2018–2019) eine Synopsis der vergessenen Geschehnisse dieses Zeitraumes angeboten. Die deutschsprachige Originalfassung dieses Artikels wurde als Gründungsmanifest der Aufarbeitungsinitiative hinterlegt. Dahingegen spiegelt der abschließende Leitartikel in deutscher Sprache eine herausfordernde Schnittmenge von Politik- und Geschichtswissenschaften wider. In ihm wird das spannende Gedankenexperiment der „Weimar-Russland“-These antithetisch diskutiert. Nachdem diese siebzig Jahre nach dem Untergang der Weimarer Republik aufgestellt wurde, ist ihre Wirkung auf die Gegenwart unbestritten.



1.  Z.B. Roman Koster, Rezension zu: Teupe, Sebastian, Zeit des Geldes. Die deutsche Inflation zwischen 1914 und 1923. Frankfurt 2022, in: H-Soz-Kult, 20.09.2023. Beispiel des neutralen Lagers (Schweiz): Séveric Yersin, Rezension zu: Daniel Artho, «Schandfleck» oder «Ruhmesblatt»?. Der schweizerische Landesstreik in der Erinnerungskultur, 1918–1968. Zürich 2024, in: H-Soz-Kult, 25.02.2025.

2.  Gregor Müller, Der Völkerbund – die ungeliebte Friedensorganisation, MDR, 7. Juli 2022. Peter de Bourgraaf und Benjamin Pfannes, Ein Nobelpreisgewinner von 1915 über England, Empire und Entente, in: Marina Ortrud M. Hertrampf (Hrsg), Frieden! Pazifistische Gedanken im Umkreis von Romain Rolland, München 2022, S. 111–133.